Deutsch (Deutschland)

Tschernobyl und Interzonenzug

Meister werden – gar nicht so einfach

In Deutschland ist das mit dem Handwerksrecht ja so eine Sache.
Zur damaligen Zeit musste man einen Meisterbrief besitzen, um eine eigene Werkstatt zu betreiben. Bis dato hatte ich mich irgendwie „durchgeschlängelt“ – das gingt so nicht mehr weiter.

Blockflötenbaumeister – das gab es nicht. Es heißt „Holzblasinstrumentenmachermeisster“ (immer wieder ein Spaß, das in einem Formularfeld „Beruf“ unterzukriegen).
Und als ein solcher sollte man damals eine Oboe bauen, eine Querflöte, eine Solistenklarinette oder dergleichen. Einfache Klarinetten hatte ich in meiner Lehrzeit einmal gebaut – aber meine Interessen gingen ja in eine andere Richtung – und unter diesen Meistern galt die Blockflöte einfach nicht als ein ernstzunehmendes Instrument (niemand von denen konnte so etwas bauen).

Meine Chance kam, als in Kassel ein neuer Prüfungsausschuss etabliert wurde und mein Chef gebeten wurde, mitzumachen. Seine Bedingung: Historische Blasinstrumente – die mit nur wenigen Klappen – mussten anerkannt werden.

So war ich dann dabei. An die Stelle einer aufwendig konstruierten Klappenmechanik trat die dokumentierte Rekonstruktion eines alten Originalinstruments. Ein bisschen Metall sollte schon dran sein, und auch einige notwendige Werkzeuge durfte man gerne selbst anfertigen.

Wiederbegegnung mit Denner

Es wurde eine Bassblockflöte nach einem Vorbild von J. Chr. Denner. Das war der Vater von Jacob – mit dem ich ja schon gut bekannt war.

Das Originalinstrument liegt im Musikinstrumentenmuseum Berlin. Heute ist das quasi bei mir nebenan. Damals war es eine halbe Weltreise.

Wenn ich heute von Berlin nach Fulda fahre, brauchte ich gut 3 Stunden. Zur damaligen Zeit war es eine Zugreise durch die DDR – mit Grenzkontrollen, Langsamfahrstrecken. Eben eine Fahrt über Nacht, wenn ich im Museum etwas ausrichten wollte.

Ich kam etwas übernächtigt am Bahnhof Zoo an und frühstückte da so lange, bis das Museum öffnete.

Und dort durfte ich mich dann in aller Ruhe diesem historischen Schatz widmen!

Es gab ein Kämmerchen in der Bibliothek, ich zeigte meine Messwerkzeuge – es durfte kein Metall sein, um Beschädigungen an dem wertvollen Material zu vermeiden. So maß ich, zeichnete, und wenn niemand in der Nähe war, durfte ich auch mal ein paar Töne spielen, um einen Eindruck vom Klangcharakter der alten Flöte zu bekommen.

Vieles gab es zu rekonstruieren – die Zeit hatte so manche Beschädigung hinterlassen.

Es war eine beeindruckende Begegnung mit dem alten Herrn Denner senior!

Was hat eine Meisterprüfung mit Tschernobyl zu tun?

Eigentlich nichts – und doch ist mir die Erinnerung noch allzu präsent.

Meisterprüfung heißt nicht nur: ein meisterliches Instrument bauen. Es geht auch um Kenntnisse in der Betriebswirtschaft, im Ausbildungswesen und dergleichen. Dazu gab es Abendkurse für alle: Installateure, Bäcker, Automechaniker – und Flötenbauer.

Und eines Abends – auf dem Nachhauseeweg, erwischte mich dann der Regen. Wir wussten nur, nach der Explosion im – heute ukrainischen – Atomkraftwerk Tschernobyl war alles mögliche gefährlich. Waldpilze, alles, was draußen wuchs, und eben auch der Regen.

Und ich geriet mitten hinein!

Dass das mit der Atomkraft nix taugt – das war mir schon länger klar. Zu dieser Zeit kamen dann auch Menschen ins Grübeln, die vorher emsige Verfechter dieser wundersamen Technik waren.

Und ich zog zuhause erst mal alles aus und stellte mich unter die Dusche.
Das beruhigte mich zumindest psychisch etwas.

Holz aus dem Waschkessel

Nun ging es aber ans Meisterstück!
Ein Problem: Eigentlich dauert der Bau einer hochwertigen Blockflöte sehr lange. Das Material muss immer wieder liegen und sich „beruhigen“. Für ein Meisterstück hat man aber eine festgeschriebene Zeit zur Verfügung.

So musste ich etwas „tricksen“
Das Material – kanadischer Bergahorn – musste gut imprägniert sein. Normalerweise dauert das lange. Ich machte es etwas anders: In unserem Keller stand ein alter, holzbefeuerter Waschkessel. Den bugsierte ich hinaus in den Garten. Statt mit Waschwasser füllte ich ihn mit Leinöl, feuerte ihn an – den Feuerlöscher immer in Griffweite – und kochte die Holzrohlinge regelrecht in dem Öl aus.

Es war dann exzellent imprägniert – und das schwerste Instrument, das ich jemals baute. Das Öl hatte sich bis in die letzten Poren hineingesogen.

Ich drechselte, schnitzte, feilte, lötete (für die Klappe), und ließ mir dabei immer wieder auf die Finger schauen.

Schließlich hatte ich quasi den jüngeren Bruder des alten wertvollen Stücks in den Händen. Und er klang tatsächlich etwas wie der „alte“, nur etwas reibungsloser. Er hatte eben kein ausgefranstes Labium und auch keinen Riss im Fuß wie Papa Denners gutes Stück in Berlin.

Unterm Strich wurde es eine sehr gute Prüfung.

Ich war Holzblasinstrumentenmachermeister!