Von Waldorf zu Denner
„Richtige“ Lehrjahre
Vieles durfte ich lernen über den Flötenbau in diesen ersten zwei Jahren bei Mollenhauer – wo ich doch eigentlich nur als „Angelernter“ tätig war.
Drechseln lernte ich.
Wie man Flöten zum Klingen bringt.
Wie man eine eigene einfache Flöte entwickelt und baut.
Wie man eine eigene kleine Firma führt:
Wirklich viel für zwei Jahre.
Jetzt durfte ich endlich eine richtige, formvollendete Lehre beginnen.
Das war zu dieser Zeit nur im Bereich des „klassischen“ Holzblasinstrumentenbaus möglich, und bei Mollenhauer waren das damals Böhmflöten – also die modernen Querflöten aus Metall.
Ein komplett anderes Aufgabengebiet. Nicht das, was ich ursprünglich wollte, aber interessant und auch fordernd. Weniger akustische Arbeit als Feinmechanik.
Es hieß: feilen lernen, löten, polieren. Klappen bauen, komplizierte Mechaniken zerlegen und wieder zusammensetzen.
Wichtig war auch die „Bild-Zeitung“ in der Frühstückspause. Nein, natürlich nicht bei mir – Gott bewahre! Einer der Kollegen hatte sie täglich am Tisch. Und wir stritten fast täglich, lustvoll und erbittert. Ich glaube heute, wir hatten beide unseren Spaß daran.
Kürzlich habe ich Otto noch einmal bei einem Firmenjubiläum getroffen. Auch er erinnerte sich noch gerne an diese Zeit und unsere Scharmützel. Auch wenn uns teilweise Welten trennten – er wurde mir etwas zum Vorbild in punkto Geradlinigkeit und Ehrlichkeit.
Schließlich war ich so weit, als Gesellenstück eine Querflöte zu bauen. Sie war noch nicht spielfertig – man sollte ja sehen, wie die Arbeit ausgeführt war. Es muss eine ganz ordentliche Arbeit gewesen sein – ich war zufrieden, die Herren Prüfer auch.
Was man heute „Freelancer“ nennt
Nun – wie weiter…?
Blockflöten?
Querflöten?
Oder vielleicht was ganz anderes?
Ich lebte auf dem Land. Keine Landkommune, wie ich es mal erträumt hatte, aber immerhin ein altes Bauernhaus.
Regelmäßig morgens um 7 Uhr antreten – davon hatte ich erst mal genug. So probierte ich einfach ein bisschen aus – von allem etwas.
Blockflöten-Köpfe intonieren – das konnte ich auch zuhause. Schließlich hatte ich mittlerweile meine eigene kleine Werkstatt – sogar mit Ofen. Nach dem Brandschutz fragte damals niemand so wirklich – das war auch gut so. Also: Heimarbeit – ein Standbein.
Zu Ende meiner Lehrzeit hatte ich mir ein Spezialgebiet angeeignet, das mir viel Freude machte: Spezialmechaniken für Menschen mit Körperbehinderungen zu bauen. Mein Glanzstück war eine Altflöte für eine Spielerin, die durch einen Unfall eine Hand verloren hatte. Ja, das Instrument war überraschend gut spielbar. Natürlich war es für mich eine Herausforderung, damit auch halbwegs gut spielen zu lernen. Sie konnte es dann deutlich besser.
Solche Dinge weiter zu bauen – das war einfach reizvoll. Und so war ich doch immer wieder bei Mollenhauer in der Firma. Nicht morgens um 7 – das konnte ich mir doch etwas aussuchen.
Weiter waren da natürlich meine pentatonischen Waldorf-Flöten – die Nachfrage wuchs und wuchs.
Als mir das doch etwas einsame Landleben genug war, fand ich in Fulda selbst eine Wohnung samt Werkstatt. Zu dieser Zeit holten mich auch die Querflöten wieder etwas ein – ich hatte einige Kunden, für die ich immer wieder Flöten reparierte und überholte.
Ich war breit aufgestellt.
Und doch waren es eigentlich die Blockflöten, die immer wieder nach mir riefen und wollten, dass ich mich auf sie konzentriere.
Wie Kynsecker bekannt wurde
Den Namen „Kynsecker“ kennt heute jede Flötenspielerin.
Bis zu den frühen 80er Jahren war das noch anders.
Bei Mollenhauer wuchs der Wunsch, historische Flöten anzubieten aus der Zeit vor dem Hochbarock – also Renaissanceflöten oder so etwas.
Was ich damit zu tun hatte?
Da muss ich ein bisschen ausholen:
Ich hatte ja nun schon ein paar Erfahrungen im Blockflötenbau gemacht, und nicht nur für mich war klar, dass ich dafür brannte.
Die Modelle, die produziert wurden, wollten betreut sein, immer wieder verbessert werden, Fehler (die sich in einer Produktion immer mal einschleichen) beseitigt werden. Und auch mal neue Ideen verwirklicht werden.
So wurde eine neue Abteilung in der Firma Mollenhauer eingerichtet: „Forschung und Entwicklung“.
Und diese Abteilung war: ich!
Ja, das wurde jetzt richtig spannend. Ich hatte Zeit zum Probieren, Experimentieren und zum Lernen Lernen Lernen!
Ich hatte Ideen für Verbesserungen, die auch in die Produktion einfließen sollten. Natürlich erlebte ich da auch den einen oder anderen Widerstand: „War das denn nicht gut so, wie wir das die ganze Zeit gemacht haben?“ Solche Fragen tauchten auf – naturgemäß.
Ja, und dann: Renaissanceflöten - oder so etwas.
Schnell war klar: Zwei Oktaven sollten sie möglichst können. Damit waren die Consort-Flöten alten Stils schnell vom Tisch – die haben ja meist nur einen begrenzten Umfang von gut eineinhalb Oktaven.
So recherchierten wir, studierten Zeichnungen, vermaßen Instrumente, und schließlich unternahmen wir eine Pilgerfahrt nach Nürnberg. Ziel: Germanisches Nationalmuseum.
Dort liegt der mittlerweile weltberühmte Satz von Flöten von Hieronymus Fanz Kynsecker, je zwei Soprane, Alte, Tenöre und ein Bass, in der für damalige Zeit ungewöhnlichen Stimmung von etwa cis und fis, also etwa einen Halbton über dem, was heute gängig ist. Oder d und g in tiefer Stimmung? Wer weiß…
Schnell war klar: Das war wirklich interessant! Aber ein exakter Nachbau kam nicht in Frage, auch wenn wir die Stimmung auf die gebräuchlichen 440 Hz anpassten. Aber das Prinzip dieser Instrumente war vielversprechend.
Ich nahm all diese Impulse mit und fing an zu basteln. Bei der nächsten Firmenfeier durfte ich auf einer Frühbarock-Altflöte in g mitspielen – ein damals für uns noch ungewohnter, äußerst charmanter Klang!
Eine Sopranflöte sollte auch gleich dabei sein.
Und so gab es bald die „Kynsecker“ Sopran und g-Alt im Sortiment von Mollenhauer – was damals schon etwas Aufsehen erregte.
Später erweiterte sich diese Palette deutlich. Alt in f, Tenöre, Bass, Sopranino und Garklein, später noch Großbass in C – das konnte ich nicht mehr alleine stemmen, andere Kollegen waren dann bei diesem Projekt dabei.
Heute sehe ich immer wieder auf Ausstellungen diese Instrumentenreihe – vieles hat sich da weiterentwickelt und noch verbessert. Und ich freue mich drüber…
Nicht zuletzt waren die Erfahrungen mit diesen Flöten die Grunndlage für meine Frühbarock-Modelle.
Bekanntschaft mit Jacob Denner
Diese 80er Jahre (heute muss man sagen: des vorigen Jahrhunderts) waren eine Zeit, in der sich der Blockflötenbau nach historischen Vorbildern explosionsartig entwickelte.
Hießen Flöten vorher „Studio“, „Meisterstück“, „Solist“, „Flauto Dolce“ oder wie auch immer – mehr und mehr entwickelten sich die internationalen Ausstellungen, bei denen viele handwerklich arbeitende Flötenbauer ihre Instrumente präsentierten, zu Publikumsmagneten. Und dort heißen die Flöten meist „Kopie nach…“
Der Reichtum, den die überlieferten Flöten aus der Barockzeit und früher boten, wurde mehr und mehr entdeckt, alle lernten an diesen Instrumenten. Man unternahm Wallfahrten zu den Museen, ausgerüstet mit Messwerkzeugen aus Kunststoff (mit Metall durfte man sich diesen wertvollen Stücken nicht nähern!) und Baumwollhandschuhen, und mit ganz großem Glück, etwa, wenn die Kollegen aus den Museumswerkstätten Frühstückspause machten, war es auch mal möglich, ganz kurz diesen holzgewordenen Schätzen ein paar Töne zu entlocken. Bei allem Zahn der Zeit, der an den alten Flöten genagt hatte – diese Töne waren wie ein Gruß aus einer fernen Zeit!
Schon Jahre zuvor hatte mein damaliger Chef begonnen, an der Kopie einer Flöte von Jacob Denner zu arbeiten – dem großen Nürnberger Instrumentenbauer aus der Zeit um 1700. Im erwähnten Germanischen Nationalmuseum gibt es zwei Altflöten aus seiner Werkstatt. Eine davon war Bernhard Mollenhauers Vorbild.
Vieles hatte sich da schon entwickelt. Aber da war auch ein Problem:
Flötenbau erfordert volle Konzentration, erfordert „Dranbleiben“. Und wenn man „nebenbei“ noch eine Firma zu leiten hat, wird das schwierig. Da und dort mal eine Stunde, die man für die Arbeit in der Werkstatt abzwacken kann, ist zu wenig.
Und so bat Bernhard Mollenhauer mich eines Tages, mich doch dieses Themas anzunehmen.
Wirklich viel Ehre für einen Blockflötenbauer, der doch noch am Anfang seines Erfahrung-Sammelns stand!
Ich hatte viel Freiraum für diese Arbeit, eine hervorragende Werkstatt-Ausstattung, hatte mittlerweile eine exzellente musikalische Begleitung und Beratung in der Firma an meiner Seite.
So baute ich bald meine ersten Denner-Kopien.
Ja, ich habe in den folgenden Jahren und Jahrzehnten viel dazugelernt.
Und immer wieder einmal begegnet mir eine Flöte aus dieser Zeit, und die Besitzer erzählen mir dann, wieviel Freude sie damit schon hatten.
Und bei den vielen Ausstellungen, die ich dann auch mit diesen Instrumenten besuchen durfte, konnte ich immer wieder Feedback sammeln, Erfahrungen von Kollegen einholen, und all das floss in die Arbeit an „meinen“ Denner-Kopien mit ein – und natürlich etwa in die „Kynsecker“ auch.