Die Blockflöte und ich – eine zunächst spröde Liebe
Weihnachtslieder und Frans Bruggen
Masern, Mumps und Blockflöte – auch bei mir
Wie sich das für einen gutbürgerlichen Apothekers-Haushalt in der Kleinstadt gehörte, stand da auch ein Klavier. Nur im Flur, aber schwarz und mächtig. Zu mächtig für mich – für einen Achtjährigen war das angeblich noch nichts.
Also Blockflöte. Damit kann man Weihnachtslieder spielen – die Oma freut sich sicher.
So marschierte ich nachmittags mit meiner nagelneuen Hopf-Flöte und dem „Spelemann fang an“ los – wieder in die Schule, wieder zu Frau Protzer, unserer Klassenlehrerin. Wir waren, glaube ich, zu dritt.
Ob es den anderen mehr Freude machte – ich weiß es nicht. Ich fand es nicht so richtig toll.
Die großen Mädchen – das sah ich – durften größere Flöten spielen, zu Schulfeiern und dergleichen. Das konnte ich sowieso sicher nie.
Ich entwickelte nach und nach ein ziemlich zweckökonomisches Verhältnis zum Flötenunterricht: Die Stunde war dienstags um 3. Also übte ich dienstags um 2 – sollte ja niemand sagen, ich hätte nicht geübt!
Endlich hatten meine Eltern ein Einsehen: Ich durfte die Flöte auf die Seite legen und ein „richtiges“ Instrument lernen – ich durfte mich an das „schwarze Ungetüm“ setzen.
Üben musste ich von da an deutlich mehr. Und das arme Klavier musste mit mir in den kommenden Jahren noch viel erleiden.
Aber das ist eine andere Geschichte…
Die Wieder-Ausgrabung
Das Klavier hatte einen großen Vorteil: Man konnte „richtige“ Musik darauf spielen.
Neben den ganzen Heroen der Klassik - meist finster dreinblickende Herren – gab es noch das andere: Beat hieß es erst, dann Rock, Blues, Pop. Hauptsache laut! Was ich auf der (neuen) Gitarre noch nicht konnte, wurde in die Tasten gehämmert.
Und dann gab es so eine verrückte Truppe: Bei Jethro Tull spielte tatsächlich einer Flöte! Zwar war das die Querflöte – und es klang auch ziemlich anders als „Kling Glöckchen“ auf meiner alten Hopf-Flöte. Aber es war interessant…. Faszinierend…
Man konnte auch auf irgendwas wie Flöte „richtige“ Musik machen.
Ich konnte nur Blockflöte spielen, und diesen rauhen Sound von Ian Anderson – den bekam ich darauf nicht hin.
Vielleicht lag es an der Flöte?
Ich nahm einen Schraubenzieher und – sagen wir mal: modifizierte etwas das Labium.
Ein Teilerfolg. Es klang noch nicht wie bei Ian Anderson, aber auf jeden Fall anders als vorher – mein erster Versuch im Flötenbau!
Tja – und dann spielte der auch Bach – „Bourée“. Und andere spielten auch altes Zeugs als Rock. Einer spielte „Brandenburger“ (das dritte), bei manchen klang es nach altenglischen Tänzen – und ich hatte ja auch auf dem Klavier mein Faible für das entdeckt, was wir heute „alte Musik“ nennen.
Das interessierte mich doch mehr und mehr – ich wollte wissen, wie das „wirklich“ klingt.
Also begann ich, diese Musik zu hören – freiwillig, mit Freude und Interesse. Erst mal etwas Vivaldi und Bach, dann kamen die frühbarocken Helden dazu – Praetorius, Monteverdi, Dowland.
Ein Paradies tat sich vor mir auf.
Ok – Led Zeppelin waren nett, aber das – das war richtige Musik – ein unglaubliches Universum!
Frans Bruggen war schuld
Jemand brachte eine Schallplatte mit (heute heißt das „Vinyl“): „Blockflötenwerke des Barock“.
Wie – Blockflöte…???
Auf dem Cover sah mich ein freundlicher junger Mann an. Frans Bruggen sei nebenbei „Testpilot“ für einen bekannten holländischen Blockflötenbauer, stand da.
Und die Musik…
Das war so anders als bei den Mädels bei der Schulfeier.
Nicht so gerade, exakt, mehr so wie „dahingespielt“. Aber das klang – ich konnte es kaum fassen!
Das wollte ich auch!
Die Schule lag mittlerweile längst hinter mir (darauf kommen wir noch) – und ich konnte mir eine Flöte leisten. So hielt ich meine zweite Hopf-Flöte in den Händen – diesmal eine „richtige“ – eine Altflöte. Sie hatte Doppellöcher unten – das sei barocke Griffweise, sagte man mir.
Ich glaubte es. Und viel später war eine meiner großen Freuden, SpielerInnen zu zeigen, wie man eine deutsche Flöte auf barocke Griffweise umstimmt…
Mit „klein klein“ wollte ich nicht mehr anfangen – ich kaufte mir eine Händel-Sonate. Wenn ich alles nicht so schnell spielte, kam ich damit so halbwegs zurecht. Der Vorteil: Es war kein hohes f drin – das konnte ich nämlich nicht so gut. Oder konnte die Flöte es nicht?
Ich hatte das Gefühl, eine musikalische Heimat gefunden zu haben.
Kürzen wir den Rest ab:
Bei der Hopf-Flöte blieb es nicht – viele andere kamen dazu.
Und auch die Händel-Sonate war erst mein noch stümperhafter Anfang. Später bekam ich eine ganze Weile sehr guten Unterricht. Da wuchs etwas, und ich hatte immer wieder Gelegenheit, auf einem kleinen Podium mit guten Amateuren zusammen feine Musik zu spielen.
Auch noch, als Frans Bruggen längst nicht mehr Blockflöte spielte.