4 Spätbarock-Flöte
Einen deutlichen Wandel erfuhr das Instrument zu Ende des 17. Jahrhunderts. Die Entwicklung hatte wohl ihre Wurzeln in Frankreich und wurde dann von Instrumentenbauern nach ganz Europa "exportiert".
So brachte etwa P. Bressan diesen neu entwickelten Typus der hochbarocken Blockflöte nach England, während J. Chr. Denner nach seinen Studien in Frankreich die neuen Entwicklungen in Nürnberg heimisch machte.
4.1 Ziele der Entwicklung
Charakteristisch für die neuen Entwicklungen war vor allem die Entwicklung der Blockflöte vom musikalischen Handwerkszeug zum Kunst-Instrument, schon äußerlich sichtbar an den oft aufwendig verzierten Teilen, bei denen zunehmend oft seltene und edle Materialien wie Elfenbein zur Verwendung kamen.
Die Klangvorstellungen wandelten sich ebenfalls; gefragt war zunehmend ein eleganter, was heißen soll: nasaler Ton mit ausgesprochen solistischer Ausprägung und vor allem Spielsicherheit auch in den hohen Lagen.
4.2 Bauliche Unterschiede zur Frühbarock-Flöte
Dies schlägt sich nieder in einer ganzen Reihe konstruktiver Änderungen. Die Bohrungsverengung zum unteren Ende hin ist deutlich stärker und beginnt weiter oben als bei den frühbarocken Instrumenten. Damit zusammenhängend werden auch die Tonlöcher kleiner. Die Windkanäle werden zunehmend enger und im Verlauf flacher.
4.3 Klangliche Konsequenzen der Entwicklung
Das führt im Klangbild der Instrumente zu starken Veränderungen: Es wirkt immer stärker gedackt und auch obertöniger, dem Ideal der Zeit entsprechend. Ausgesprochen solistisch ausgeprägt, ist es auch kaum mehr mischungsfähig, Barockflöten sind ausgesprochene "Solisten". Dem steht durchaus nicht entgegen, dass die Tendenz wieder zu etwas leiseren, intimeren Klängen geht.
4.4 Verschiedene "Schulen":
Deutlich lassen sich nun verschiedene nationale und regionale Baustile unterscheiden. Interessant ist vor allem etwa der Vergleich zwischen den Instrumenten der Londoner und der Nürnberger Schule, für die stellvertretend die Namen Bressan und Denner stehen.
Die typische englische Blockflöte wurde in London vor allem von P. Bressan, der das Instrument von Frankreich mitbrachte, zusammen mit den Bauern der Familie Stanesby entwickelt.
Charakteristisch ist vor allem die im unteren Bereich relativ weite Innenbohrung, die sich auch zum Fußstück hin nur allmählich verengt, so dass auch die Fußbohrung noch relativ weit ist. Die Windkanäle und Aufschnitte sind relativ schmal gehalten, oft mit sehr deutlich fühlbarem Blaswiderstand.
Bohrungsdiagramm Altflöte von P. Bressan
Typisch für das Klangbild ist viel "Tiefe" im Ton, der sehr farbenreich und gestaltbar ist. Man denkt hierbei unwillkürlich an den Einfluss der französischen Musik, der hier deutlich durchscheint.
Die hohe Lage auf diesen Instrumenten funktioniert natürlich durchaus, ist aber oft nicht der "stärkste" Bereich, vor allem oft auch im Zusammenhang mit der Intonationsreinheit. Dies erscheint nicht verwunderlich, wenn man englische Musik dieser Zeit betracht, etwa Blockflötensonaten von Händel, in denen die hohen Lagen des dritten Registers sehr selten wirklich gefordert werden. Die ganze Musik ist ausgelegt auf sehr viel klangliche Brillanz und "Würde", genau das richtige etwa für eine Altflöte aus Bressans Werkstatt.
Eine etwas andere Entwicklung nahm der Blockflötenbau in damals im zu dieser Zeit bedeutendsten deutschen Holzblasinstrumentenbau-Zentrum, in Nürnberg. Dort war, sicherlich auch durch intensive Handelskontakte nach Süden, deutlich ein italienischer Einfluss im Blasinstrumentenbau spürbar. So bildete sich hier ein süddeutscher Blockflötentypus heraus, der auch stark vom italienischen Geschmack geprägt war.
Verglichen vor allem mit den englischen Instrumenten der Zeit, wiesen sie vor allem im unteren Bereich deutlich engere Innenbohrungen auf; die obere Bohrungshälfte wies vergleichsweise geringe Unterschiede auf, die dann vor allem intonationsbedingt waren. Vor allem ab dem Tonloch 6 verengt sich bei diesen Instrumenten die Bohrung sehr kräftig, so dass auch die Fußstücke sehr enge Bohrungen aufweisen. Die engsten Stellen können bis zu 1,5 mm enger sein als etwa bei Instrumenten von Bressan.
Bohrungsdiagramm Altflöte von J. Denner
Hingegen sind die Windkanäle meist etwas breiter als bei den englischen Instrumenten, Unterschiede von 0,5 mm mögennicht allzu gravierend erscheinen, klanglich haben sie an dieser Stelle sehr deutliche Wirkungen. Die Windkanäle sind auch meist nicht allzu eng gehalten.
Die klanglichen Ergebnisse sind dann auch ganz andere als bei Bressan. Dennersche Instrumente zeichnen sich vor allem aus durch eine schnelle und direkte Ansprache aller, vor allem aber der hohen Lagen. Die Tiefe klingt meist schlank, aber sonor, der Gestaltungsspielraum ist deutlich enger als bei englischen Flöten.
Die musikalische Bedeutung dieses Blockflötentypus wird sofort deutlich, wenn man die Blockflötenwerke Telemanns betrachtet. Dieser besaß mit großer Wahrscheinlichkeit Instrumente aus der Werkstatt Jacob Denners. Seine Musik setzte instrumente voraus, die in allen Lagen virtuos spielbar sein mussten, mit "schwachen Lagen" waren sie für seine Musik nicht aufführbar, die Instrumente mussten vor allem wendig und reaktionsschnell sein.
Einen spielerischen Vergleich zwischen beiden Instrumententypen kann man nicht mit Worten führen, man sollte entsprechende Kopien aus einer guten Werkstatt selbst vergleichen.
Hierbei ist es allerdings wichtig, Instrumente in gleicher Grundstimmung zu vergleichen, da die Grundstimmung den Charakter eines Instruments über seine Bauweise hinaus stark beeinflusst. Englische Instrumente hatten im Original meist tiefere Stimmtöne (405 - 408 Hz) als die Nürnberger Instrumente (410 - 415 Hz).