2 Ganassi-Flöte
Betrachten wir zunächst einen in der Bauweise eher extremen Vertreter, die Ganassi-Flöte. Was ist das eigentlich?
2.1 Geschichtliches zur Ganassi-Flöte
Die Quellenlage zu diesen Instrumenten ist eher mager. Der Name geht zurück auf Sylvestro Ganassis 1535 in Venedig veröffentlichtes Lehrbuch der Flötenkunst und des Diminuierens "La Fontegara". In diesem beschreibt er eine Reihe von Griffen, mit denen sich auf verschiedenen damals gebräuchlichen Flöten Griffe weit über die damals gebräuchlichen gut eineinhalb Oktaven hinaus spielen ließen. Er bezeichnete sie als seine ureigenste Entdeckung, was dahingestellt sein mag.
Jedenfalls funktionieren auf vielen Instrumenten aus dieser Zeit einige dieser Griffe, auf fast keinem jedoch alle, vor allem nicht Griffe, die sehr stark Gebrauch machen vom Überblasen in Oktaven in höheren Lagen oder in Doppeloktaven. Vor allem auf stärker konisch gebohrten Instrumenten (auch die meisten Blockflöten der Renaissance waren nach unten hin verengt) waren solche Griffe aus den oben erwähnten Gründen praktisch nicht anwendbar.
Es gibt lediglich ein erhaltenes Instrument, eine Altblockflöte im Kunsthistorischen Museum Wien, die ihrer Bauweise nach mit den Griffen Ganassis weit über 2 Oktaven hinaus spielbar gewesen sein muss. Dieses Instrument ist wegen eines Risses praktisch nicht mehr spielbar, Rekonstruktionen von Fred Morgan und anderen haben jedoch ergeben, dass diese Bauweise wohl den Typ der "Ganassi-Flöte" darstellen könnte. Die meisten heutigen Instrumente dieses Typs gehen auf diese Rekonstruktionen zurück. Misst man ihre heutige Verbreitung an der Zahl der überlieferten Instrumente, kann man durchaus von einem eigenständigen Instrumententypus ohne ausdrückliche historische Tradition sprechen, so wie sich ja auch in der heutigen Spielpraxis, bei allem Bemühen um historische Authentizität, sicherlich viel von derjenigen früherer Zeiten unterscheidet.
2.2 Bau-Charakteristika
Worin bestehen nun die baulichen Besonderheiten der Ganassi-Flöte?
Auffallend ist zunächst die praktisch vollkommen zylindrische Bohrung des Instruments, mit einer kräftigen trichterartigen Erweiterung am unteren Ende. Dies steht im Gegensatz zu der Bauweise fast aller anderen Blockflötentypen.
Bohrungsdiagramm Ganassi-Flöte
Hinzu kommt noch der vergleichsweise große Aufschnitt, der dazu führt, dass es sich in der Regel um ausgesprochen laute Instrumente handelt.
Der Trichter am unteren Ende hat nicht nur klangliche Hintergründe. Er gleicht vor allem die Stimmung des Instruments im Bereich des dritten Registers aus. So führt er dazu, dass der so typische Griff für die Doppeloktave (alle Finger geschlossen, nur Daumenloch und beide Ringfinger leicht geöffnet) auch eine stimmende Doppeloktave ergibt.
Man kennt diesen Griff ja auch von Barockflöten her. Hier stellt er den (meist missglückten) Versuch dar, auf einer Altflöte ein hohes fis zu spielen, also den Ton einen Halbton über der Doppeloktave. Dieser Griff ist fast immer deutlich zu hoch. Der "Ganassi-Trichter" senkt nun diesen Ton soweit ab, dass man im Endeffekt eine meist gut stimmende Doppeloktave erhält, und das bei einer klanglichen Qualität und Brillanz, die sonst bei allen Instrumenten auch aus späterer Zeit mit anderen Griffen undenkbar ist.
2.3 Klangliches Resultat
Diese Bauweise und entsprechend die Klangfarbe dieser Instrumente hat nun gar nichts Gedacktes mehr an sich. Charakteristisch für das Klangbild ist ja auch der ausgesprochen offene, strahlende Ton. Dies gilt auch für die Töne des dritten Registers, die aufgrund der einfachen Uberblaseigenschaften auch akustisch meist einfach abgeleitet sind, oft als direkte Teiltöne des Grundtons.
2.4 Unterschiede zur Consort-Flöte
Groß sind auch die Unterschiede zu den in der damaligen Zeit am meisten verbreiteten Instrumenten, den Consort-Blockflöten. Diese waren fast durchweg von relativ weiter Bohrung, nach unten verengt und mit eher schmalen Aufschnitten. Die Klänge dieser Blockflöten sind ja bekannt als eher intim, dunkel und gut miteinander verschmelzend.
2.5 Verwendung in der musikalischen Praxis
Ihr Einsatzgebiet findet die Ganassi-Flöte eher im solistischen Bereich, sie neigt ja ausgesprochen zur Dominanz und kann sich so auch gut gegen andere Blasinstrumente durchsetzen.
Ihr großer Tonumfang macht sie geeignet etwa für die italienische Violinliteratur des 16.-17. Jahrhunderts sowie allgemein für brillante, virtuose Diminuitionsliteratur. Auch in der zeitgenössischen Musik werden derartige Instrumente häufig eingesetzt. Ihre Verwendbarkeit ist sehr breit gefächert - wer will, mag auch gerne Van Eyck darauf spielen. Das mag "unhistorisch" sein. Aber was ist an diesem Instrument überhaupt "historisch korrekt"?